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Die Geschichte des Cinema Münster

2018 feierte Cinema & Kurbelkiste in Münster das 50jährige Bestehen. Dazu schrieb ich die Geschichte unter großer Zuhilfenahme des Archivs der Westfälischen Nachrichten. Die Artikel erschienen in DIE LINSE, Gestaltung: David Kluge.

Die Geschichte im Überblick:
Mitte 1968   Übernahme des Neuen Krugs durch Heiner Pier
20.12.1968   Eröffnung der Kurbelkiste in der Winkelstraße
09.05.1969   Neuer Krug heißt jetzt Cinema Neuer Krug
10.02.1978   Artikel in den WN: 100.000 Gäste im Cinema, 40.000 in der Kurbelkiste
01.10.1979   Steffi Stephan übernimmt den Neuen Krug
15.05.1980   Kurbelkiste zum zweiten mal für das gute Filmprogramm ausgezeichnet
31.01.1981   Cinema an der Warendorfer Straße eröffnet
02.10.1981   Die Kurbelkiste zieht ins Cinema, aus dem Kino in der Winkelstraße wird das Dingsbums
03.11.1989   Heiner Pier eröffnet das Metropolis
22.10.1990   Die Münsterschen Filmtheater-Betriebe (MSFTB) übernehmen Cinema, Dingsbums und Metropolis
05.12.1990   Letzte Vorstellung im Dingsbums
07.08.1997   Jens Schneiderheinze und Thomas Behm gründen mit den MSFTB die Cinema Filmtheater GmbH
17.10.1998   Das Garbo wird eröffnet
17.10.2001   Das Cinema wird zum ersten Mal als bestes Kino Deutschlands ausgezeichnet, seitdem ist es in der Top 10
20.04.2004   Pressekonferenz zur bedrohlichen Situation des Cinema
06.05.2011   Cinema-Gründer Heiner Pier stirbt
18.10.2017   Das Cinema wird zum zweiten Mal als bestes Kino Deutschlands ausgezeichnet
31.12.2018   Jens Schneiderheinze und Thomas Behm steigen als Gesellschafter-Geschäftsführer im Cinema aus

Die Themen der Beiträge:
Die Kinolandschaft 1968 in Münster
Kurbelkiste
Das Ende vom Cinema Neuer Krug
Die Suche nach einem neuen Gebäude 1979
Das Cinema an der Warendorfer Straße
Der CINEMAtograph
Kino Fusionen
Rosa Linse – Die Linse
Alles gleich und doch anders
Verstopfte Toiletten und Renovierungsstau
Schön war’s.

Die Kinolandschaft 1968 in Münster

1968 übernahm Heiner Pier das Filmtheater „Neuer Krug“ an der Weseler Straße 109, das 1947 als zweites münstersches Kino nach dem Krieg eröffnet wurde. Das Kino gibt es an diesem Standort schon lange nicht mehr, stattdessen befindet sich dort ein Neubau mit einem Netto-Markt.

Das Programm des „Neuen Krugs“ (erst im Mai 1969 wurde es das Cinema) hob sich nicht sonderlich von den Programmen der anderen Kinos ab. Gespielt wurden in dem einen Saal zum Beispiel im Dezember 1969 drei Filme: der Horrorfilm „Die Satansengel von Nevada“, in der Spätvorstellung Claude Chabrols „Der Tiger liebt nur frisches Fleisch“ und in der Sonntagsmatinee „Ursus, der Unbesiegbare“. Auch wenn es damals noch 10 Kinos gab: das Filmangebot war nicht groß. Schließlich waren alle Kinos noch Einzelhäuser, in denen – genau heute vor 50 Jahren – 18 Filme gezeigt wurden. 2018 gibt es in Münster zwar nur noch drei Kinos, dafür aber 15 Säle und 63 Filme.

Den „Westdeutschen Filmtheaterbetrieben“, auch „Roland-Kette“ genannt, gehörten 1968 vier Kinos: das Roland-Theater (heute GOP), der Fürstenhof (heute Rossmann an der Ludgeristraße), das Schloßtheater (schon damals mit anspruchsvollem Programm) und die Residenz (heute Rewe an der Hammer Straße). Daneben gab es die Schauburg (später Stadt New York) und das Apollo (heute Titus), die der Familie Winter gehörten. Das Rex am Bahnhof (später Metropolis, heute Hochhaus) war das sechste Kino, das Heinz Riech (später UFA) 1959 eröffnete. Das eigentliche Programmkino zu der Zeit – wenn man es so nennen will – war der Gertrudenhof (heute SuperBioMark an der Warendorfer Straße), der immer wieder „Internationale Filmkunstwochen“ veranstaltete. Und dann gab es noch die Aktualitäten-Lichtspiele (Ali Kino) im Bahnhof.

Westfälische Nachrichten, 27.6.1948
Westfälische Nachrichten, 27.6.1948
Anzeigen in den Westfälischen Nachrichten. 21.12.1968

Die Kurbelkiste

Schöne Worte fanden die Westfälischen Nachrichten für das neue Kino, das am 21. Dezember 1968 erstmals Filme zeigte: „In der Winkelstraße … eröffnete am Donnerstagabend die Kurbelkiste, Münsters kleinstes, aber auch gemütlichstes Kino, seine Pforten. Die beiden jungen Pächter, Michael Föllen und Heiner Pier, begrüßten ihre Gäste mit einem Gläschen Sekt und bei leiser Wiener Musik. Der dezent ausgestattete Zuschauerraum hat etwa sechzig Plätze. Damit ist die Kurbelkiste eines der kleinsten Kinos in Deutschland. Das ist aber keineswegs ein Nachteil, ganz im Gegenteil: Die Enge gibt der Kurbelkiste das Fluidum des Privaten, man ist unter sich und fühlt sich stark an das Zimmertheater erinnert.“ Die WN schwärmten weiter, dass durch den Einbau einer „Speziallinse“ sogar Cinemascope-Filme und in Stereo gezeigt werden konnten.

Das Programm war ambitioniert: Der Eröffnungsfilm, Die blaue Lola, lief täglich in sieben (7!) Vorstellungen – eine ganze Woche lang. Anders als im Neuen Krug, das überwiegend ein Nachspielhaus der größeren Filme war, sollten in der Kurbelkiste der junge deutsche Film und Filme, „die bei internationalen Filmtagen durchgefallen sind“ (WN) ihren Platz vor einem „kleinen, aber sachverständigen Publikum“ ihren Platz finden.

Obwohl die sieben Vorstellungen sich auf Dauer nicht trugen, was die Kurbelkiste recht erfolgreich. 1977 konnte das kleine Kino immerhin 40.000 Gäste verzeichnen (im Vergleich: Das Cinema hatte 2017 mit drei Sälen rund 75.000 Gäste).

In der Winkelgasse 10 sollten bis Ende 1990 Filme gezeigt werden. Als Anfang 1981 das Cinema an der Warendorfer Straße eröffnet wurde, zog schließlich die Kurbelkiste im Oktober nach. Aus der Kurbelkiste wurde das Dingsbums und war fortan nur noch Nachspielhaus für das Cinema.

Nach der Übernahme des Cinemas (mit Metropolis und Dingsbums) durch die Münsterschen Filmtheater-Betriebe im Herbst 1990, wurde das kleine Kino endgültig im Dezember 1990 geschlossen. Hans Gerhold schrieb in den WN: „Vermissen indes werden Generationen von Kinogängern das Dingsbums, das sang- und klanglos geschlossen wurde. Keine „last picture show“ für ein kleines, aber bis vor einigen Jahren sehr feines Programmkino, in dem nicht nur (Film-)Studenten Filmkunst sahen, lernten und schätzten.“

Westfälische Nachrichten, 21.12.1968

Das Ende vom Cinema Neuer Krug

Leider besitze ich keine Originalunterlagen aus den Anfängen des Cinemas. Ich vermute aber, dass es für das Cinema an der Weseler Straße nur einen 10 Jahres-Pachtvertrag gab, der 1978 auslief und hätte verlängert werden müssen.

Der Münsteraner Musiker Steffi Stephan plante schon seit 1976, im ehemaligen Pumpenhaus an der Gartenstraße ein Kultur- und Kommunikationszentrum einzurichten. Spätestens zwei Jahre später zeichnet sich aber ab, dass sein privat finanziertes „kommerzielles“ Projekt nach Vorbild der Hamburger Fabrik keine Chance auf Realisierung hatte (der Rat brauchte dann noch bis Ende 1979, um das Nutzungskonzept zu verabschieden, nochmals vier Jahre später konnten dann Filmgruppe und Theater die Eröffnung feiern). So pachtete Stephan zum 1. März 1978 stattdessen die Gaststätte Neuer Krug und zum 30. Juni auch das Kino.

Das rief viel Widerstand in Münster hervor. Tausende Unterschriften wurden gesammelt, ein Verein zum Erhalt des Cinema gegründet, etliche Leserinnenbriefe und Leserbriefe in den Zeitungen abgedruckt. So schrieb im Mai 1978 Jörg Filter, später langjähriger Mitarbeiter des Cinemas: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Steffi Stephan so filminteressiert ist und über so weitgehende Filmkenntnisse verfügt, dass er das Niveau der bisherigen Programmgestaltung auch nur annähernd erreichen kann.“ Steffi Stephan versicherte in einer Stellungnahme hingegen: „Ich will im Cinema an fünf Tagen in Zusammenarbeit mit einem Kinofachmann ein gutes Programmkino weiterführen und an zwei Tagen der Woche zur kulturellen Bereicherung Live-Konzerte bieten.“

Aufgrund der Proteste fand die Übernahme des Kinos erst zum Oktober 1979 und der Spielbeginn Ende des Jahres statt. »Als Programmgestalter und Chef des Kinos hat Stephan nun Andreas Pietsch (29) gewonnen, er studierte Sozialpädagogik mit Schwerpunkt Medienarbeit.« (WN 1.1.79)
Das Kino an der Weseler Straße hatte es fortan nicht leicht. Heiner Pier hatte über seine guten Kontakte zur AG Kino und einigen Verleihern erreicht, dass Stephan kaum an interessante Filme kam. So stellte das Aktionskino Jovel schon anderthalb Jahre später den Kinobetrieb wieder ein und war nun ausschließlich Ort für Konzerte und Disco. Das Jovel hatte aber wiederholt Ärger mit den Anwohnenden und dem Ordnungsamt. Mitte 1987 schloss es an der Weseler Straße die Türen, um sie ein Jahr später in der ehemaligen Germania-Brauerei an der Grevener Straße wieder zu öffnen. Und auch hier gab es zur Eröffnung wieder Proteste der Nachbarschaft …

Bestärkt von der großen Unterstützung machte sich Heiner Pier und der Cinema Förderkreis schon 1978 auf die Suche nach einem neuen Ort für das Cinema. »Die nie erwartete Reaktion des Publikums hat Heiner Pier – „ich war konkurrenzmüde“ – jetzt ermuntert, vielleicht doch noch weiter zu machen, „möglicherweise in ausgedehnter Form, etwa mit weiteren Räumlichkeiten, in denen man Diskussionen über die Filme veranstalten kann“.« (WN 2.10.78)

Westfälische Nachrichten, 28.4.1978
Westfälische Nachrichten, 10.2.1978
Westfälische Nachrichten, 2.3.1979
Westfälische Nachrichten, 15.2.1978
Westfälische Nachrichten, 29.3.1978

Die Suche nach einem neuen Gebäude 1979

Zum 1. Oktober 1979 hatte Steffi Stephan den Neuen Krug an der Weseler Straße übernommen. Heiner Pier und seine Mannschaft mussten das Gebäude räumen, ohne ein konkretes Ersatzobjekt gefunden zu haben. Die Kurbelkiste in der Winkelstraße mit den 60 Plätzen spielte aber weiter.

Das Interesse an einem Weiterbestehen des Cinema ging durch alle Fraktionen im Rat (damals gab es nur CDU, SPD und FDP). „Wir stehen der Arbeit Piers grundsätzlich positiv gegenüber“, wird der damalige CDU Ratsherr Ruprecht Polenz und gleichzeitig stellvertretendes Mitglied im Kulturausschuss in der WN zitiert (18. 7. 79). »Wie Polenz meint, tue die Stadt Münster alles, um Heiner Pier bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten behilflich zu sein«, schreibt die WN weiter. Für die SPD setzt sich die Ratsfrau Brigitte Jäger für das Cinema ein: »Das Programmkino wie Heiner Pier es in Münster geboten hat, ist ein beachtlicher kultureller Faktor in Münster gewesen.« In dieser Zeit gab es einige Objekte, die interessant schienen, darunter Gebäude in der Wilhelmstraße und der Bergstraße. Anfang September zeichnete sich mit der Warendorfer Str. 45 der neue Standort ab. »Allerdings, und dies ist derzeit das Hauptproblem, muss das neue Gebäude erst für die Kino-Bedürfnisse hergerichtet werden. Insgesamt, so schätzt Pier, wird dies eine Summe von „etwa 700 000 Mark“ erfordern. „Natürlich erwarten wir nicht, dass die Stadt Münster dies alles bezahlt“, macht Pier deutlich, „aber ein Engagement in irgendeiner Form ist notwendig!“« (WN 7. 9. 79)

Ende September 1979 veröffentlichte die WN ein Foto mit dem Möbelhaus Geier an der Warendorfer Str. 45: »Der Besitzer der Lagerhalle, Heinz Geier, äußerte sich zurückhaltend; er bestätigte auf WN-Anfrage lediglich, dass Verhandlungen geführt würden. Über den Ausgang könne er nichts sagen. Sein Beerdigungsinstitut* werde auf jeden Fall am jetzigen Ort bleiben. Damit kommt als eventuelle neue Bleibe für das Cinema nur die Lagerhalle in Frage, die praktisch in den Gärten hinter den Häusern an der Warendorfer Straße in den 50er Jahren gebaut wurde.« (WN 28. 9. 79)

Schon zu diesem Zeitpunkt gab es von einigen Anwohnenden massiven Widerstand: »„Für uns wäre es eine echte Katastrophe“, kündigte [einer der Anwohnenden] Widerstand an, falls sich die Vermutungen bewahrheiten sollten,« so die WN. Am 1. Dezember meldete sich Benedikt Sonntag mit einem Leserbrief zu Wort: »Dazu möchte ich sagen, dass dieses Kino an der Warendorfer Straße wirklich fehl am Platze ist. Dieses Wohnviertel wird dadurch völlig gestört. […] Die Bürger dieser Wohngegend müssen doch entscheiden, ob dieses Programmkino dort errichtet wird oder nicht, es geht doch nicht um die geschäftlichen Interessen des Kinobesitzers. […] Nachts ist dann doch Terror, also Krach, das kann doch den Anwohnern wirklich dort nicht zugemutet werden. Außerdem gibt es ja viel zu wenig Räume zum Vorführen der Filme. Ich muss sagen, das mit dem Kino sollen sich die Besitzer aus dem Kopf schlagen.«

Die Proteste zogen umfangreiche Auflagen in der Baugenehmigung nach sich. »„Darin sind 65 Einzelpunkte aufgeführt“, machte Pier den Umfang der Akte deutlich, „90 Prozent davon rein auf den Nachbarschaftsschutz ausgerichtet“. So seien beispielsweise für alle Seiten und Richtungen die höchstzulässigen Dezibelwerte angegeben, die nach Außen dringen dürften.« Die Umbaukosten stiegen auf eine runde Million, die Eröffnung des Kinos verzögerte sich immer wieder.

Westfälische Nachrichten, 1.9.1979
Westfälische Nachrichten, 21.11.1979

*Noch heute gibt es ein Zeugnis des Bestattungsinstitutes im heutigen Cinema: Im Foyer, schräg gegenüber der Kinokasse, ist ein Stein in die Mauer eingearbeitet. Auf diesem stand früher das Ewige Licht im damaligen Schaufenster des Bestattungsinstitutes …

Westfälische Nachrichten, 18.7.1979
Westfälische Nachrichten, 28.9.1979

Das Cinema an der
Warendorfer Straße

Irgendwann war es dann endlich soweit: »Seit heute hat Münster auf einen Schlag drei Kinos mehr! Nach langer Planungsphase, aufreibendem Marsch durch die Genehmigungs-Instanzen und sich in die Länge ziehenden Bauarbeiten „steht“ jetzt endlich Das Cinema an der Warendorfer Straße. Heiner Pier, der vor über einem Jahr das erfolgreiche Programmkino Cinema Neuer Krug aufgeben musste, hat bei der Konzeption seiner drei Theater unter einem Dach keine Kosten und Mühen gescheut: Ein großer und zwei kleinere Kinosäle sind mit der modernsten Technik auf akustischem und optischem Gebiet ausgestattet«, schrieb die WN am Samstag, 31. Januar 1981.

Eigentlich sollte schon viel früher eröffnet werden. In der Ausgabe Dezember 1980 der hauseigenen Filmzeitung war man frustriert: „Nun hat es doch nicht geklappt mit der Cinema-Wiedereröffnung im November.“ Als Eröffnungstermin wurde dann Freitag, der 12. Dezember 1980, genannt (damals begann die Kinowoche noch am Freitag, erst seit August 1985 beginnt unsere Kinowoche donnerstags). Die geplanten Eröffnungsfilme wurden dann im Januar gezeigt: Wut im Bauch, Reggae Rockers, Medea, Der verzauberte Tag, Easy Rider und Kleine Fluchten.

Am 2. Oktober desselben Jahres „zog“ die Kurbelkiste ins Cinema und aus dem kleinen Kino an der Winkelstraße wurde das Dingsbums, das – wie man in der Filmzeitung lesen konnte – ein reines Nachspielhaus werden sollte. Vielleicht meinte Heiner Pier, dass drei Säle genug seien, er aber die schon zwei Mal prämierte Kurbelkiste erhalten wollte?

Das Programm war damals eindeutig anders als heute. Es wurde viel mehr – eigentlich fast ausschließlich – Repertoire gespielt. Im Mai 1984 verkündete das Cinema voller Stolz: „Zwei Filme haben wir im Programm, die wir als Erstaufführung und im Bundesstart zeigen können.“ Heute spielt das Cinema im Wochenprogramm ausschließlich Neustarts und die in der Regel zum Bundesstart. Damals hingegen war es ganz normal, dass das Cinema immer wieder Harold & Maude, Der Elefantenmensch oder Für Eine Handvoll Dollar brachte und das Publikum freute sich darauf, die Filme immer wieder zu sehen …

Vor 35 Jahren waren die Gästezahlen höher und die Eintrittspreise niedriger. Im März 1983 klagte das Cinema, dass die durchschnittliche Auslastung bei 43 Gästen läge – 2018 hatte das Cinema unter 18 Gäste je Vorstellung. Dafür betrug der durchschnittliche Eintrittspreis 5,30 DM, 2018 lag der Durchschnittspreis bei 6,65 Euro (für die Jüngeren: ungefähr 13,00 DM). Ohne die Lohnunterlagen von 1983 vorliegen zu haben, kann man behaupten, dass das Cinema 2018 einen weitaus besseren Lohn zahlte. Im gleichen Jahr wurde übrigens aus der Filmzeitung der CINEMAtograph.

Westfälische Nachrichten, 31.1.1981

Der CINEMAtograph

Mitte der 70er, als das Cinema „Programmkino“ wurde, gab das Cinema am Neuen Krug, ein Programmzettel heraus. Das umfasste sechs Seiten. Aus diesem wurden dann spätestens 1980 (vielleicht wegen der Neueröffnung des Cinemas an der Warendorfer Straße) die Filmzeitung, erst im schlichten Schwarzweiß, später dann mit einer Schmuckfarbe. Diese war eine wirklich sehr umfangreiche und informative Zeitschrift. Ab September 1983 wurde sie in den CINEMAtographen umbenannt.

An dieser Zeitschrift bzw. im Cinema haben einige Leute mitgewirkt, die später ihren Weg im Kino- und Filmbereich gingen. So war Anne Schallenberg dabei – heute filmothek der jugend nrw. Hermann Thieken und Christian Saßnick betreiben heute das Cinema Arthouse mit dem Café Garbo (!) in Osnabrück. Peter Stark hat jahrelang den einzigartigen münsterschen Filmclub kuratiert und war Redakteur bei der KINOaktuell. Thomas Friedrich ist heute einer der beiden Herausgeber und Filmkritiker der Ultimo. Für diese schrieb auch Jens Steinbrenner später – heute ist er Öffentlichkeitsreferent der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen.

Die letzte Ausgabe des CINEMAtographen erschien im Januar 1991 mit der Übernahme des Cinemas durch die Münsterschen Filmtheaterbetriebe.
Programm Februar 1975
CINEMAtograph September 1983
Filmzeitung Mai 1980
CINEMAtograph Januar 1991

Kino Fusionen

Mitte der 80er gab es vier Kinobetreiber in Münster. Die „Roland-Kette“, zu der das Roland, der Fürstenhof und das Schloßtheater gehörten, die Familie Mazotti mit der Schauburg und dem Apollo, die Ufa mit dem Rex und Heiner Piers Cinema und Kurbelkiste.

Am 12. April 1988 titelte dann aber die WN: „Münsters Kino-Szene kommt in Bewegung“. Die Ufa plante, die Schauburg und das Apollo zu übernehmen. Die WN: »Marktbeherrschend in den letzten Jahren waren in der Westfalenmetropole die „Westdeutschen Filmtheaterbetriebe“, auch „Roland-Kette“ genannt. Mit ihren neun Filialen diktierten sie das Angebot, hatten bei den Verleihern die erste Wahl. … Heiner Pier vom Cinema-Programmkino: „Es war überfällig, dass die verkrustete Wettbewerbsbehinderung hier beendet wird.“«

Doch neun Monate später fusionierten Ufa und die Roland-Kette zu den Münsterschen Filmtheater-Betrieben. Die Gründe waren keine wirtschaftlichen, wie Felix Esch von der Roland-Kette, versicherte, sondern programmatische: »Den Schlüssel zum Erfolg sieht Esch in den „hausspezifischen Programmen“: Anspruchsvolle Filme im Schloßtheater, gehobene Unterhaltung im Fürstenhof und die Publikumsrenner im Roland-Theater. Dieses Konzept war seit der Übernahme von Schauburg und Apollo-Theater durch Ufa-Chef Heinz Riech im April vergangenen Jahres gefährdet.« (WN , 13. Januar 1989) In diese Programmstruktur sollte nach der Fusion mit der Ufa deren Häuser mit eingezogen werden. Ein Modell, das heute noch in Münster sehr erfolgreich betrieben wird. Gerade deshalb gibt es in dieser Stadt diese unglaubliche Programmvielfalt mit wöchentlich rund 50 Filmen.

Das Rex am Bahnhof wurde im Zuge der Fusion aufgegeben. Heiner Pier konnte dort Anfang November das „Metropolis“ mit zwei Sälen eröffnen. Ausgestattet mit bester Technik (Scherenkasch im großen Saal, auf Spiegelprojektion wurden trotz der beengten Verhältnisse verzichtet, Dolby SR in beiden Sälen) erhoffte sich das Cinema, nun auch größere Filme zum Neustart zu bekommen. Es dauerte jedoch kein Jahr, bis Heiner Pier im Oktober 1990 alle seine Kinos an die Münsterschen Filmtheater-Betriebe verkaufte. Zwei Gründe könnten den Ausschlag gegeben haben. Zum einen hat er vielleicht doch nicht die größeren Filme bekommen, die er brauchte, um die Investitionen abzahlen zu können. Zum anderen wird gesagt, dass er für das Metropolis neue Leute einstellen musste. Und die gründeten einen Betriebsrat, da sie nicht bereit waren für wenig Lohn zu arbeiten.

Das Dingsbums an der Winkelstraße mit der Übernahme wurde geschlossen, Heiner Pier wurde bei den Münsterschen Filmtheater-Betrieben Personalchef, verlies aber 1994 das Unternehmen, um Kinoneubauten technisch und innenarchitektonisch zu betreuen. So war er maßgeblich bei der Restaurierung der Essener Lichtburg beteiligt und beriet die Cinestar-Gruppe.

Westfälische Nachrichten, 12.4.1988
Westfälische Nachrichten, 13.1.1989
Westfälische Nachrichten, 22.10.1990

Rosa Linse – Die Linse

Am Montag, den 24. April 1989 fing alles an: Jens Schneiderheinze und Thomas Behm zeigten im Rahmen des Forum Frieden-Bildungsprogrammes den Film Ich will von Claus Rüttinger und Veronika Brendel in einem Seminarraum als VHS-Video auf einem Fernseher. Jens liefen zu wenig Filme mit schwulem Inhalt in den Kinos und so zeigte er sie halt selber – monatlich einen. Wichtig war, dass die Filmschaffenden oder Verleiher für die Aufführung der Filme bezahlt werden sollten, da nur so das Geld kommt, um neue, gute Filme zu drehen.

Schließlich wurde die Arbeit aufwändiger, da nun auch schon mal 16mm-Filme gezeigt wurden. So zogen sie ins c.u.b.a. um, und die Bildungsveranstaltung bekam mit Rosa Linse einen Namen. Da es beiden zu langweilig wurde „nur“ Filme im schwulen oder lesbischen Kontext zu zeigen, wurde Bunte Farben gegründet. Zusammen mit dem Allerweltskino von Vamos und der Filmreihe der Frauenforschungsstelle Schwarze Witwe bildeten sie nun das cuba-kino, das immerhin 50 bis 60 Plätze (besser: Holzstühle) bot und damals schon fast alle Medien spielen konnte: Video, Super 8, 16mm und seit 1992 auch 35mm. Elke Kaiser und Bridget Leifeld kamen dazu, und das cuba-kino spielte sonntags bis mittwochs jeweils 3 Vorstellungen pro Tag. Danach wurde alles ab- bzw. wieder aufgebaut.

Wurden die Filmabende anfangs über Weiterbildungsgelder finanziert, gab es nun städtische Förderung: Erst 5.000 DM, dann – als es 1994 eine rot-grüne Mehrheit mit Marion Tüns als Oberbürgermeisterin im Rat gab – 60.000 DM. Diese, so war die Auflage, dürfen aber nur für Programmmittel, nicht für Personalkosten ausgegeben werden. Für besondere Programme wie eine Andy-Warhol-Reihe wurden Anträge beim Filmbüro NW gestellt. Im Januar 1995 wurde die Rosa Linse als Verein zur Förderung kommunaler Filmarbeit ins Vereinsregister eingetragen. Ein Jahr vorher, 1994, übernahmen Thomas und Jens für die Filmwerkstatt die Festivalleitung der filmzwerge (heute Filmfestival Münster) im Schloßtheater. Durch die neuen Kontakte mit den Münsterschen Filmtheaterbetrieben veranstaltete man im Cinema bereits gemeinsam Projekte, wie zum Beispiel das Israelisch-palästinensische Filmfest. Das Verhältnis wurde so gut, dass 1997 die Linse (aus dem Rosa war mittlerweile Die geworden) ins Cinema zog und Thomas und Jens sie Geschäftsführer der neuen Cinema Filmtheater GmbH wurden.

cuba-kino 1992
Filmzwerge 1994

Alles gleich und doch anders

»Nach dem gegenwärtigen Stand sollen Jens Schneiderheinze und Thomas Behm, in den vergangenen Jahren für das Rosa Linse-/Cuba-Kino in der gleichnamigen Erwachsenenbildungsstätte zuständig, ab Mitte 1997 das Cinema an der Warendorfer Straße übernehmen, bisher unter der Verantwortung der Münsterschen Filmtheater-Betriebe. Deren Geschäftsführer Felix Esch schaut dem Wechsel optimistisch entgegen: „Ich schätze das Duo Schneiderheinze/Behm sehr – u.a. wegen seiner Kreativität und Erfahrung.“ An dem ambitionierten Programm des Cinemas – es ist das Aushängeschild des mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Lichtspielhauses […] werde sich daher nichts ändern, betonte er auf Anfrage.« (HDT, MZ April 1997)

»Der Kino-Coup. Rosa Linse übernimmt das Cinema.« (Ultimo 4/1997)

So wurde der Wechsel von den Medien aufgenommen. Im August 1997 folgte dann die Übernahme. Für Jens und Thomas bedeutete das viel – vor allem aber schlaflose Nächte bzw. wenig Schlaf. Schon vormittags waren sie im Kino um Büroarbeiten zu verrichten, dann ging es weiter mit dem Umbau. Abends ging es dann spät nach Hause und im Bett kamen die bösen Albträume des Disponenten: ein Kino mit drei Säle, Personal, das bezahlt werden wollte, Lieferanten, die Geld wollten – aber kein Publikum! Niemand interessierte sich für die Filme, die ich ausgesucht hatte. In Wahrheit passierte das nicht, Dank auch der Hilfe und Beratung von Klaus-Dieter Klepsch, dem Disponenten-Kollegen der anderen Kinos in Münster.

Mit dem Cinema konnten sie vieles, das in den Kinos bisher üblich war, in Frage stellen und Neues ausprobieren. Da ist zum Beispiel die Selbstbedienungstheke für Getränke und Naschzeug. Oder die Kasse, die so platziert wurde, dass man von dort auch den Einlass im Blick hat. Es war klar, dass das Kino mit weniger Personal auskommen muss, wenn es ein aufwändigeres Programm gestalten und die Mitarbeitenden auf Dauer besser bezahlen will.

Der Gründer des Cinemas, Heiner Pier, war – soweit ich es  mitbekommen hatten – nur einmal wieder in dem Kino. 2014 sollte er uns bei der Neugestaltung des Cinema 1 helfen. Da sagte er anerkennend, dass uns der Umbau trotz seiner Bedenken gut gelungen wäre. 1997 äußerte er sich nämlich recht skeptisch über den Plan, den Kinoeingang über die Passage zu gestalten.

1998
1998
Eröffnung des Garbo 1998

Verstopfte Toiletten und Renovierungsstau

Wie ist es, wenn man aus dem Hobby den Beruf macht? Wir würden lügen, wenn wir sagen würden:  „Super!“

 

Kinomachen heißt, nicht nur tolle Filme fürs Programm aussuchen, Filmreihen kuratieren, Regisseurinnen und Schauspieler betreuen. Der Alltag ist, sich um verstopfte Toiletten, defekte Projektoren, fehlende Filme, Beschwerden von Gästen und letztendlich auch um die Finanzen zu kümmern. Und gerade diese erlitten bei uns 2004 eine Schieflage. Im Kino müssen wir im Winter den Speck anfressen, um den Sommer überstehen zu können. Das klappte in dem Winter 2003/2004 nicht. Im April stellten wir fest, dass wir mit unseren Geldreserven gerade mal bis Juli liquide sein würden. So luden wir zu einer Pressekonferenz ein, die auch beachtliches Echo fand.

 

„Heißt der letzte Film Konkurs?“, titelte eine Zeitung. Die Reaktion in der münsterschen Bevölkerung hatte uns mehr als überrascht. Wir selbst waren uns nicht klar, ob das Cinema in der Stadt noch gebraucht würde – immerhin hatte sich Kino verändern. Die Multiplexe hatten den Standard verändert, die Leinwände wurden größer, der Ton besser. Wir hingegen hatten einen enormen Renovierungsstau, da wir nie genügend Geld erwirtschaften konnten, um radikal zu investieren. Nach unserer Pressekonferenz hingen dann aber selbst in Edel-Läden in der Innenstadt Plakate Nicht ohne mein Cinema!, Leute spendeten Geld oder boten ihre Hilfe an. Das war nicht nur finanziell gut, sondern auch mental.

 

Wir schmiedeten wieder Pläne, wussten, dass es mit dem Cinema weitergehen kann, investierten mit Hilfe der Spenden in die Bestuhlung, die Kinotechnik und das Café Garbo. Letztendlich hatte uns die Krise gutgetan – wir sind gestärkt aus ihr hervorgegangen. Das Cinema, wie wir es jetzt haben, mit dem Garbo, mit dem neben*an, würde es in dieser Form nicht geben. Das 4tel Fest, das weltbeste Stadt(teil)fest,, ist aus den Rettet das Cinema-Festen hervorgegangen. Manchmal ist es vielleicht ganz gut, alles in Frage zu stellen, um daraus neue Ideen entwickeln zu können. Die damaligen Spenden gehen an den Verein Die Linse, um besonders gute Programme zu finanzieren. Existenzängste gehören zum Glück der Vergangenheit an und wir können uns und unseren Gästen das neben*an oder Spät- und Kindervorstellungen gönnen, die sonst nicht finanzierbar wären. Mit den Jahren sind Cinema und Garbo zu einem Arbeitgeber für knapp 50 Mitarbeitende geworden und steht finanziell stabil da. Nichts bleibt aber so, wie es ist – und das ist oft ganz gut so.

Jens Schneiderheinze und Thomas Behm

Rettungsaktionen 2004
Rettungsaktionen 2004
Rettungsaktionen 2004
Rettungsaktionen 2004
Rettungsaktionen 2004

Schön war’s.

Nachdem wir 21 Jahre das Cinema geleitet haben, werden wir jetzt abtreten und im Cinema aufhören, wenn es am Schönsten ist. Immer wieder hören wir die Befürchtung, dass alles anders wird. Wird es auch bestimmt. Wenn man sich das Cinema 1997 und heute anschaut oder dieses Monatsprogramm (siehe Fotos), wird schnell deutlich, dass wir selber kein Garant dafür sind, dass sich nichts ändert, im Gegenteil.

Wir haben tolle und weniger tolle Sachen in unseren Cinema-Jahren erlebt und sind dankbar dafür, dass wir hier so viel gestalten konnten – nicht nur das Kino und Garbo betreffend, sondern auch das 4tel Fest, das neben*an oder viele kleine, „unsichtbare“ Dinge.

Im Kino hatten wir unzählige Veranstaltungen, die sehr berührten. So zum Beispiel die beiden Abende zu „Dissoziativer Identitätsstörung“, zu der wir eine Betroffene zu Gast hatten und es sehr intensive Gespräche gab. Oder unser Projekt „Münster – Globale Stadt“. Im Mittelpunkt jedes Abends standen in Münster lebende Menschen und deren Herkunftsländer. Wir konnten schon Anfang der 2000er Jahre darstellen, welchen Reichtum eine Gesellschaft durch die Menschen hat, die aus aller Welt kommen.

Auch die Veranstaltungen mit verschiedensten Kooperationspartner*innen, sei es das Bistum Münster, die Schwarz-Rote-Hilfe, die Aids- oder die Lebenshilfe: Es war immer eine Bereicherung. Kino ist für uns ein Ort für offene, ehrliche und respektvolle Diskurse. So zeigen wir immer wieder Filme, die die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung darstellt, gleichzeitig bringen wir aber auch die Filme, die an den Holocaust erinnern oder jüdische Lebensweisen und Kultur thematisieren. Im Moment erleben wir und andere Kinos eine regelrechte Kampagne gegen den Film ELTERNSCHULE. Wir werden bedrängt, den Film abzusetzen und eine Auseinandersetzung zu unterdrücken. Selbstverständlich werden wir uns dem Druck nicht beugen.

Dann sind da noch die vielen Gäste, die wir hatten – viele Promis aus Politik und Film, viele spannende Menschen ohne großen Namen. Wichtig war uns immer die Sichtweise und Kompetenz, die Menschen mitbrachten. Ob, damals noch Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse oder Filmschaffende wie Tom Tykwer, Nicolette Krebitz, Burghart Klaußner oder Randi Crott.

Und dann gab es die Veränderungen, die kamen wie die Digitalisierung oder die „Filmflut“. Wir waren eines der ersten Kinos der Republik, die digital spielten, da wir schon früh schauen wollten, was das an Vor- und Nachteilen bringt. Für uns war die Zeit nicht einfach, da wir nicht nur mit der Technik, sondern auch innerbetrieblichem Unmut zu kämpfen hatten.

Danken möchten wir denen, die uns in den Jahren unterstützt hatten: Felix Esch & Söhne und Klaus-Dieter Klepsch von den Münsterschen Filmtheater-Betrieben, die uns das Cinema überlassen hatten, cuba-cultur, wo wir unsere Lehrjahre hatten, unserem Verpächter Bernhard Happe, mit dem wir alles mit Handschlag und viel Sympathie regeln konnten, den Kolleginnen und Kollegen, die auch in schwierigen Situationen zu uns und Kino und Café standen, unseren Kooperationspartner*innen und letztendlich natürlich unseren Gästen, ohne deren Zuspruch es weder Cinema noch Garbo geben würden.

Jens Schneiderheinze und Thomas Behm